Chronisch erschöpft

Chronisch erschöpft – Wege zur Selbsthilfe

Ich bin ständig müde, fühle mich ausgebrannt und kraftlos.
So, als hätte mir jemand den Stecker gezogen.

Diese Beschreibung zählt zu den häufigsten, die mir täglich in der Praxis begegnen.

Gemäß einer aktuellen Studie der Beratungsagentur Auctority fühlen sich 55,7 Prozent der Deutschen erschöpft – Frauen häufiger als Männer, Ledige mehr als Verheiratete, Eltern mehr als Kinderlose. Tendenz: steigend.

Die Psychologin und Leiterin der Studie, Dr. Christina Guthier, warnt eindringlich:

„Erschöpfung in diesem Umfang macht nicht nur kurzfristige Ausfallerscheinungen, sondern auch längerfristige Schäden wahrscheinlich. Gesundheit, Produktivität und auch die allgemeine Zuversicht der Menschen drohen zu leiden.“

Fühlen wir uns nur erschöpft oder sind wir es tatsächlich?

Was können wir tun, um wieder in unsere Kraft zu kommen?

Und wann benötigen wir professionelle Hilfe?

Schritt 1 – Selbstanalyse

Wie sehr fühlen Sie sich erschöpft?

Erschöpfung ist zunächst ein subjektives Gefühl, für das es keine objektive „Messung“ anhand eines einzelnen Parameters gibt. Ich empfehle daher zuerst eine persönliche Bewertung der Intensität vorzunehmen.

Auf einer Skala von 0-10: Wie hoch stufen Sie Ihr durchschnittliches Energieniveau der vergangenen drei Monate ein? 0 steht für das Minimum und 10 für das Maximum.

Diese Skalierung hilft uns, das Ausmaß des aktuellen Erschöpfungsgefühls zu quantifizieren und künftige Entwicklungen einschätzen zu können.

Wo spüren Sie Ihre Erschöpfung?

Diese Frage bezieht sich auf die Manifestation Ihrer Symptome:

  • Bei einer somatischen Erschöpfung fühlen Sie die Schwächung in Ihrem Körper, sind schlafbedürftig, oft kurzatmig, muskulär kraftlos, wenig belastbar und nach erbrachter Leistung körperlich platt.
  • Bei einer psychischen Erschöpfung fehlen Antrieb und Motivation, Sie spüren eine emotionale Erschöpfung, oft gepaart mit belastenden Gedanken und Gefühlen rund um Ihre Vergangenheit und Zukunft.

Seit wann besteht dieses Gefühl?

Es ist sehr wichtig, eine akute von chronischer Erschöpfung zu unterscheiden und damit den Handlungsbedarf zu erkennen.

Die akute Erschöpfung stellt einen normalen Zustand nach erbrachter Leistung mit anschließendem Streben nach Erholung dar – sie ist schnell regenerationsfähig und unser Stressreaktionsprozess ist kontrollierbar.

Können Sie sich an freien Tagen oder im Urlaub gut erholen und auftanken?

Wenn Erholung nicht ausreicht, ist der Übergang in eine chronische Erschöpfung möglich mit Folgen von Rückzug, sozialer Isolation, Zunahme von Partnerschaftskonflikten und Abnahme der beruflichen Leistungsfähigkeit. Unsere Stressreaktionsprozesse werden unkontrollierbar, verbunden mit der Gefahr von Dekompensation, Immunsuppression und Krankheitsfolge.

Oft werde ich gefragt, wie lange es dauert, bis eine Erschöpfung als chronisch einzustufen ist. Hier gibt es keine pauschale Antwort, da die Kompensationsfähigkeit individuell stark variiert. So können Manche jahrelang unter hoher Belastung funktionieren und Andere leiden bereits nach sechs Monaten einer Überforderung.

Was raubt Ihnen derzeit Energie?

Zehn häufige Energieräuber, die ich in meiner Arbeit erlebe, sind: Schlafmangel, Zeitdruck, fehlende Ausrichtung, Überernährung, „Genuss“mittelabusus, geistige Inaktivität, Überforderung, chronische Sorgen, soziale Konflikte und das Gefühl von Sinnlosigkeit.

Spüren Sie in die zehn Faktoren hinein und bewerten Sie diese erneut anhand einer Skala von 0 (trifft gar nicht zu) bis 10 (trifft maximal zu).

  • Welche Einflüsse verstärken und welche lindern Ihre Beschwerden?
  • Welche Ihrer täglichen Gewohnheiten wirken also weiter erschöpfend?
  • Was haben Sie bereits verändert und mit welchen Ergebnissen?

Auch wenn wir Erschöpfung meist mit einem Gefühl des Mangels verbinden, so lehren uns ganzheitliche Systeme wie der Ayurveda, dass auch Fülle zu einer Schwächung beitragen kann. Beispiele hierfür sind die Überernährung, Fehlverdauung, Stoffwechselrückstände und Übergewicht. Bauen wir diese Überschüsse ab, kommt die Energie zurück.

Schritt 2 – Selbsthilfe

Mit diesen acht Säulen finden viele Betroffene aus eigener Kraft heraus wieder zu mehr Energie:

  • Ernährung | Hier geht es um die Balance aus optimaler Versorgung, Verdauung und Verstoffwechselung sowie die ausgeglichene Energiebilanz aus Aufnahme und Verbrauch. Zwei bis drei Mahlzeiten täglich, bestehend aus frisch gekochter Nahrung, sind meist zuträglich.
  • Atmung | Diese Energiequelle wird oft unterschätzt. Durch langsame, tiefe Atmung in Bauch und Brust lassen sich Spannungen regulieren und die regenerative Kraft unseres Parasympathikus aktivieren.
  • Bewegung | Ohne Energie bewegen wir uns weniger und ohne Bewegung sinkt die Energie weiter. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist ein belastungsgerechter Trainingsplan zur Steigerung von Kraft, Ausdauer und Flexibilität empfehlenswert.
  • Naturerfahrung | Die Natur heilt und fördert innere Ruhe, Frieden und das Gefühl der Verbundenheit. Verbringen Sie täglich wenigstens eine Stunde im Wald, in den Bergen, am Wasser oder einfach im Grünen.
  • Spannungsregulation | Innere Anspannung raubt uns Energie. Nebst der bewussten Atmung und Bewegung gibt es viele Möglichkeiten wie autogenes Training, progressive Muskelrelaxation, Yoga oder QiGong.
  • Supplemente | Nahrungsergänzungsmittel zur Energiesteigerung umfassen Mikronährstoffe (Vitamine, Mineralien, Fett- & Aminosäuren) und adaptogen wirkende Pflanzen wie Ashvagandha, Ginseng, Brahmi und die Taigawurzel. Lassen Sie sich hierzu fachkundig beraten.
  • Werteorientierung | Ein erschöpfender Hauptstressfaktor ist gemäß der eingangs erwähnten Studie die Arbeit – und hier vor allem gefühlt sinnlose Tätigkeiten. Werden wir uns daher unserer Kernwerte bewusst und verwirklichen diese in Arbeit und Freizeit, steigt das Energieniveau.
  • Meditation | Keine Methode ist aus meiner Sicht so wirksam, um einen gesunden Abstand zu äußeren und inneren Stressoren zu erlangen, wie die tägliche Meditationspraxis. Lernen Sie diese ideologiefrei kennen.

Haben Sie diese acht Maßnahmen schon durchgeführt und erleben dennoch keine nachhaltige Energiesteigerung, sollten Sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

Schritt 3 – Professionelle Diagnostik und Therapie

Die professionelle Differentialdiagnostik einer Erschöpfung muss medizinische und psychologische Analysen umfassen.

Hierzu lege ich nebst ausführlicher Anamnese großen Wert auf detaillierte Laboranalysen, um Mangelzustände, metabolische, hormonelle und immunologische Ungleichgewichte als Ursachen auszuschließen.

Psychologische Analysen umfassen Fragebögen, Anamnesegespräche und psychosomatische Untersuchungsmethoden.

Eine ganzheitliche Therapie basiert dann auf dem Verständnis der zugrundeliegenden Ursachen und verstärkenden Faktoren. Diese kann ambulant oder stationär erfolgen. Ayurvedische Regenerationskuren (kein Panchakarma!) können hierbei eine wertvolle Unterstützung sein.

Nehmen Sie Ihre Erschöpfung ernst, denn sie ist kein „Jammern auf hohem Niveau“, sondern meist ein Warnsignal.

Durchhalteparolen sind hier genauso fehl am Platz wie das Katastrophisieren der scheinbar bedrohlichen Zukunft.

Die Zusammenhänge von Gesundheit, Arbeit, Freizeit und Beziehungen hinter einer chronischen Erschöpfung sind komplex und erfordern ein feines Gespür und analytisches Geschick von allen Seiten.